Die Bibel als Kompass

02.03.2023 22:49 Uhr

(Christine Jann)  „Quo vadis, Kirche – wo gehst du hin?“ unter diesem Titel stehen die diesjährigen Fastenpredigten in der Hofkirche.

Den Anfang machte die Theologin Dr. Katrin Brockmöller. Als Exegetin war die Direktorin des Katholischen Bibelwerks e.V. prädestiniert für den Titel „Eine Kirche ohne Bibel ist wie ein Schiff ohne Kompass“.

„Ohne Bibel geht´s nichts“ – mit diesen Worten lobte sie auch die Entscheidung, das Thema an den Beginn der Predigtreihe zu stellen. Steckte aber auch gleich die weiteren Grenzen für den Umgang mit der Bibel: „Was auch nicht geht: die Bibel immer wörtlich zu nehmen!“

Die Bibel sei ein sehr umfangreiches Werk, das mit dem ersten und letzten Satz den weiten Rahmen setzt, um was geht: Vom Anfang der Welt bis zur Hoffnung auf Vollendung. Darin gebe es auch vieles, was für uns heutige Menschen sehr fremd sei. Verständlich sei es immer dann, wenn die Menschen darin von ihren Erfahrungen reden, von Freude und Leid, von Ängsten und Hoffnungen. Wo Texte berühren, seien sie auch ein Kompass.

Aber ein Kompass gebe eben nur die Richtung vor, er garantiere noch nicht, den Weg zu finden. Dazu brauche es auch eine Landkarte und es müssten viele Entscheidungen über den Weg getroffen werden, die wiederum von vielen Faktoren abhängen.

Bei der Kirche sei es genauso. Die Bibel gebe als Kompass die Richtung vor, aber sie sei kein Navi, der die Route festlegt, dafür brauche auch die Kirche eine Landkarte, die mit der Wirklichkeit der Menschen übereinstimmen müsse.

Mit einem Beispiel aus der Sexualmoral verdeutlichte die Predigerin das und demonstrierte wie wichtig es ist, bei der Auslegung von Texten sehr unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen wie z.B. das soziale und gesellschaftliche Umfeld, aber auch die literarische Eigenheit eines Textes.

Ihr Beispiel entsprang der vorher gehörten Lesung aus Gen. 1, in der von der Erschaffung des Menschen die Rede ist. Vielen ist dabei die alte Übersetzung noch im Ohr: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild… Als Mann und Frau schuf er sie.“ Die Theologin wiederholte im Unterschied dazu die in der Vesper verwendete neue Übersetzung: „… männlich und weiblich schuf er sie.“ Damit sei man viel näher am hebräischen Text. Und v.a. reduziere diese Lesart Menschen nicht auf Mann und Frau, sondern lasse viel mehr zu.

Mutig stellte sich die Predigerin damit gegen die Verurteilung anderer Geschlechtsidentitäten, wie sie gerade auch Patriarch Kyrill vorantreibt. Mit dieser Denke würde die Bibel eben nicht als Kompass genutzt, sondern als Navi, der nur das „Entweder – Oder“ kennt, nur Mann oder Frau, und damit nicht mehr die Wirklichkeit vieler Menschen treffe.

Mit dem Blick auf die literarische Eigenheit der Bibelstelle untermauerte sie, dass die Bibel an dieser Stelle viel mehr Spielraum lässt. Der gesamte Text der 1. Schöpfungsgeschichte sei ein Gedicht, das mit Gegensätzen arbeite, z.B. Licht und Finsternis, Tag und Nacht, von Dämmerung ist da nicht die Rede. Bei diesem Stilmittel sind männlich und weiblich nur die beiden Pole der Existenz, dazwischen ist noch viel möglich.

Diesem Beispiel folgte das Plädoyer, auf die Bibel zu hören, aber sich auch widersprechen zu trauen, wenn eine Deutung und Folgerung nicht mehr mit der Lebensrealität der Menschen übereinstimmt, nicht alles einfach hinzunehmen, sondern auch den Mut zu haben zu hinterfragen.

Nach dieser aufrüttelnden Ansage – und Absage an die allzu einfachen Antworten - griff Dr. Brockmöller nochmal den Ps 23 auf. Er war vorher von der Schola, die unter der Leitung von Andreas Strahl die Vesper wieder sehr schön gestaltete, musikalisch vorgetragen worden.

Die Predigerin verband nun die einzelnen Verse mit Erklärungen zur Struktur und Aufbau dieses bekannten Psalms. Das und die weiteren Hinweise zur Bedeutung einzelner Ausdrücke vertieften die Wirkung dieser poetischen Worte bei den Zuhörern.

So beendete sie die beeindruckende und anregende Predigt mit der Einladung, sich ein Wort aus dem Psalm herauszunehmen, mitzunehmen und als Kompass wirken zu lassen.

Frau Dr. Brockmöller war so nett und hat uns eine gekürzte Fassung der gesamten Predigt geschickt, die Sie hier nachlesen können.

(Bilder: Wolfgang Böhm)